
Abbildung 1 Titelbild Blog #56 Stefan Moser
Blog DoE Happen #56: DoE oder doch lieber wildes Rumprobieren?
Statistik? Nein danke! , „DoE? Kennen wir, aber brauchen wir nicht. Ist doch ein alter Hut. Wir setzen auf Bayes – oder gleich auf Erfahrung und Bauchgefühl!“
So oder so ähnlich klingt es, wenn ich mit Teams spreche, die sich bei der Optimierung eher auf klassisches Herumprobieren oder alte Methoden wie OFAT (One Factor At a Time) verlassen. Und ganz ehrlich? Es ist nachvollziehbar. Der Einstieg in die statistische Versuchsplanung (DoE) wirkt auf viele sperrig, unnahbar oder unnötig kompliziert. … Das ging mir damals ähnlich!
Und schwupps greifen wir zu vertrauten Werkzeugen, die sich irgendwie besser anfühlen – koste es, was es wolle. Dabei gibt es mehr als genug Beweise dafür, dass eine strukturierte Herangehensweise langfristig viel sicherer, effektiver und sogar zeitsparender ist.
In diesem Blog #56 stelle ich das DoE-Konzept einige Aspekten den üblicheren Vorgehensweisen gegenüber. Und ja, am Ende klären wir auch, was es mit dem aktuell heiß diskutierten Bayes’schen Ansatz auf sich hat.
Einstiegshürde
Der Start mit DoE ist selten ein Selbstläufer. Oft sind es Mitarbeitende, die bisher wenig oder gar keinen Kontakt damit hatten – und die sich auf Druck des Managements plötzlich mit Plänen, Modellen und statistischer Logik auseinandersetzen sollen.
Oder es sind engagierte Mitarbeiter, die Ihre Vorgesetzten versuchen zu überzeugen und sich dabei wie Don Quijote fühlen!
Das Ergebnis? Organisierter Widerstand. Langsames Lernen. Schnelles Vergessen. (Danke, Philip Kotler!)
Dabei ist DoE nicht das Abitur im Leistungsfach „Mathe“- reloaded, sondern eher wie die ungeliebte Party, zu der man sich mühsam schleift – und dann doch oftmals als Letzter tanzt, weil’s so gut gelaufen ist. (Ok,…. im Idealfall)

Ein Klassiker oder Umstand DoE zu meiden ist der gefühlte „95%-Status“: Drei von vier Zielgrößen passen immer, die letzte jedoch macht immer Probleme, aber man ist doch so nah dran! Und so wird fröhlich weiter experimentiert, in der Hoffnung, dass sich das letzte Ziel irgendwie fügen wird.
Die Realität:
Ohne den Gesamtüberblick bleiben „95 %“ oft nur ein feststeckender Fortschrittsbalken. Design of Experiments (DoE) schafft hier Klarheit – und das schon zu Beginn: Es zeigt, was überhaupt möglich ist und mit welcher Wahrscheinlichkeit.
Statt zu rätseln oder sich in endlosen Diskussionen zu verlieren, unterstützt DoE eine durchdachte Planung und – noch beeindruckender – eine fundierte Auswertung. Intuitiv verständliche Plots machen sichtbar, wo realistische Zielkorridore liegen und wo Grenzen der Machbarkeit überschritten werden. Widersprüche lassen sich klar benennen und visualisieren.
Allein die Darstellung einer Prozesslandkarte kann festgefahrene Diskussionen in neue, konstruktive Bahnen lenken – und so zu besseren Entscheidungen führen. Genau diese Darstellungen sind oft nicht das Ende der Analyse, sondern möglicherweise ein richtungsweisender Aspekt für weiteführende Maßnahmen.
Und das Beste: Niemand muss heute weder Regressionen oder lateinische Quadrate von Hand berechnen. Moderne Software übernimmt die komplexe Versuchsplan-Erstellung und Auswertung – ganz nach unseren Vorgaben. So bleibt der Kopf frei für das, worauf es wirklich ankommt: die fachliche Einschätzung, das Verständnis der Zusammenhänge und die Interpretation der Ergebnisse.
Vorbereitung & schneller Start
Warum lange planen, wenn man gleich loslegen kann? Schnell mal eine Variable ändern, schauen was passiert – fertig. Das ist das Versprechen von OFAT und COST.

Aber: Diese Methoden sind blind für Wechselwirkungen und trennen Ursache und Wirkung kaum sauber. Sie bieten keine Möglichkeit, Effekte isoliert zu betrachten. Was aussieht wie Tempo, ist oft ein Umweg.
Professionelle DoE beginnt anders: Mit einer klaren Problemdefinition – unterstützt durch bewährte Methoden wie SIPOC, Ishikawa-Diagramme, Brainstorming oder morphologische Kästen. Das Ziel: kein unkoordiniertes Einzelkämpfertum, sondern ein gemeinsames, strukturiertes Vorgehen mit abgestimmten Werkzeugen und einem klaren Fokus. So entsteht nicht nur ein Plan, sondern eine belastbare Roadmap zur Lösung. Und statt auf die nächste spontane Eingebung zu hoffen, wird Schritt für Schritt Klarheit geschaffen.
Durchführung

Wer DoE vorbereitet, weiß, was auf ihn zukommt: Anzahl und Art der Versuche, benötigte Ressourcen, Messmethoden, Designs, Zielgrößen. Das alles ist definiert, bevor der erste Versuch gestartet wird.
Das Ergebnis? Struktur, Planbarkeit – und ständige Transparenz über den Projektstand. Statt wilder Tests gibt es Meilensteine:
- Welche Faktoren sind relevant?
- Welche Variationen sind sinnvoll?
- Welche Komplexität liegt vor?
- Welche Zielkombination ist realistisch?
- Wo sind die Grenzen des Systems?
- Wie sieht die Prognose für nicht getestete Bereiche aus?
- Welche Toleranzen lassen sich festlegen?
Ein strukturierter Stufenaufbau – vom Groben ins Detail – liefert nicht nur schneller fundierte Erkenntnisse, sondern spart auch wertvolle Ressourcen.
Dabei möchte ich nicht den Eindruck erwecken, DoE sei ein Wundermittel, das automatisch zum Erfolg führt. Dieser Irrglaube entsteht oft, wenn zuvor planlos gearbeitet wurde – und DoE dann als letzter Strohhalm herhalten muss, aufgeladen mit übergroßen Erwartungen.
Auch wenn ich mich wiederhole: DoE zeigt klar die Möglichkeiten und Grenzen eines Systems auf – vergleichbar mit einer SWOT-Analyse, wenn man so will. Doch so mächtig die Methode auch ist: Sie kann die Realität nicht verbiegen. Und auch nicht das herbeizaubern, was faktisch nicht erreichbar ist.
Erkenntnis & Erleuchtung
DoE liefert Erkenntnisse – und zwar nicht nur die gewünschten:

- Sind unsere Ziele im gewählten Raum erreichbar? Wenn ja, zu welchem Aufwand?
- Was ist nicht erreichbar – und warum?
- Welche Parameterkombinationen versprechen Erfolg?
- Welche sind kritisch?
Gerade in Robustheitsstudien hilft DoE, Ursachen zu identifizieren: Somit können Fragen geklärt werden wie: Liegt das Problem an den untersuchten Faktoren oder an unbeeinflussbaren Störgrößen?
Visualisierungen sorgen für Fokus: Diskussionen drehen sich nicht um „Meinung“, sondern um Plots (visualisierte Daten = Information). Vergleichen Sie gerne diese Visuals mit einem Bild, vor dem alle gemeinsam stehen: Es geht nur um dieses eine Bild. Keine Ablenkung, kein Schwafeln. Nur Erkenntnis.
Weiterverfolgung & Robustheit
Sind die Erkenntnisse und Möglichkeiten zu den Faktoren und Ihren Responses in einem Ursache-Wirkung-Modell gefunden lässt es sich weiterarbeiten bis zu der Auslegung der Toleranzen.
Mit DoE können Sie den Raum der möglichen Einstellungen systematisch weiter untersuchen. Zwei Ansätze bieten sich an:
- Bestehenden Prozessraum (mit seinen Toleranzen) bewerten.
- Robusteren Raum innerhalb eines größeren Raumes aufspüren und analysieren.

Ein gutes Setup bleibt robust – auch bei gleichzeitiger Variation mehrerer Einflussgrößen. Mögliche Szenarien:
- Alles im Soll, Modell vorhanden: Gut, aber Achtung auf Einflussfaktoren mit „Hebelwirkung“ im Investigationsraum.
- Alles im Soll, kein Modell: Jackpot! Kein Einfluss der Faktoren erkennbar. Prozess scheint sicher innerhalb der untersuchten Grenzen.
- Ergebnisse teilweise außerhalb des Solls, Modell vorhanden: Optimierungspotenzial identifiziert. Toleranzen müssen für einzelne Faktoren enger gesetzt werden.
- Erg. teilweise außerhalb & kein Modell: „Worst Case“. Modell unbrauchbar oder Einflussgrößen unkontrollierbar. Zurück auf Los. Neue Hypothesen notwendig. Wahrscheinlich ist das Modell aus der Voruntersuchung fehlerhaft oder überschätzt oder zusätzliche Störgrößen treiben unerkannt ihr Unwesen.
Aber auch hier gilt: Jeder Fall bringt Erkenntnis – und ist ein Schritt zur Verbesserung.
Und jetzt noch: Bayes
Bayes ist kein Gegner oder das Gegenteil von DoE, sondern einfach ein anderer möglicherweise ergänzender Ansatz. Während DoE einen gezielten Designraum untersucht und strukturierte Experimente plant, nutzt Bayes Wahrscheinlichkeiten, um sich iterativ dem Optimum zu nähern.
Bayes eignet sich besonders bei engen Prozessfenstern, z. B. im Spritzguss, wo viele Faktoren bereits bekannt sind und leichte Optimierungen im Spiel sind. Der Algorithmus lernt mit jeder Iteration dazu und passt seine Empfehlungen an.
Dabei basiert der Bayes’sche Ansatz auf Ideen, die schon der britische Pfarrer Thomas Bayes im 18. Jahrhundert formulierte – aber deren praktische Anwendung erst heute durch moderne Rechenleistung in Echtzeit möglich ist. Anders als bei DoE geht es hier weniger um einen geplanten Versuchsraum, sondern vielmehr darum, mit jedem Versuch neue Wahrscheinlichkeiten für den besten Folgeschritt zu ermitteln. Man könnte sagen: Bayes denkt unterwegs mit.
Pro DoE:
- Ideal für explorative Studien
- Klarer Aufbau und Visualisierung
- Robustheitsanalysen möglich
- Hohe Planbarkeit
Pro Bayes:
- Iteratives Lernen
- Schnell bei kleinen Variationen
- Ideal bei komplexen, aber stabilen Prozessen
Fazit: DoE ist wie ein gut geplanter Roadtrip mit Karte, Rastplänen und Ausblick mit Orientierung. Bayes ist eher das spontane Navi, das unterwegs dazulernt. Beide haben ihre Berechtigung – entscheidend ist: Wo stehen Sie gerade?
Mein Tipp: Nicht Entweder – oder. Sondern sowohl – als – auch – strategisch eingesetzt.
P.S.: Ja, ich mag DoE – und das aus gutem Grund.
Denn kaum eine Methode bringt so schnell Klarheit in komplexe Zusammenhänge. Aber was ich noch mehr schätze, ist der Blick über den Tellerrand: Nur weil DoE meine Lieblingsmethode ist, heißt das nicht, dass sie die einzige sein muss. Im Gegenteil – gerade die Offenheit für andere Ansätze und Perspektiven macht die Anwendung von DoE so wirkungsvoll. Wer wirklich verstehen will, was im Prozess passiert, bleibt neugierig – und kombiniert Methoden klug statt dogmatisch zu denken.
Ausblick / Rückblick
👉 Gab’s einen Aha-Moment? Dann freue ich mich über ein kurzes Feedback – oder einen Kommentar, wo hat es bei Ihnen Klick gemacht.

Abbildung 10: Stefan Moser – Logo
Mehr aus Ihren Prozessen rausholen?
Ob DoE-Grundlagen oder Spezialthemen wie Troubleshooting, Screening, Optimierung, Mischungsdesigns oder Robustheit – ich unterstütze Sie mit praxisnahen DoE-Trainings, gezielter Beratung und methodischer Begleitung. Auch bei MVDA, DFSS und QFD bin ich an Ihrer Seite – vom ersten Workshop bis zur robusten Umsetzung.